Es ist später Nachmittag als wir Chiwa erreichen. Die tief stehende Sonne lässt die lehmverkleidete Stadtmauer orange-golden leuchten. Ich freue mich auf die alte Handelsstadt, die lange Zeit vergessen ein unbedeutendes Dasein führte. Ein großes Glück, denn auf diese Weise hat sich die historische Struktur vollständig erhalten. Innerhalb der Stadtmauer ist alles noch genau so wie zur Blütezeit des Handels an der alten Seidenstraße.

Die Sonne versinkt schnell in der Wüste, die Temperaturen werden angenehm und die autofreie Stadt bittet geradezu um einen Spaziergang durch die schmalen Gassen.

Chiwa ist klein, die Hauptsehenswürdigkeiten liegen dicht beieinander. Dezent sind die Minarette und Medresen angestrahlt, die „Hauptstraße“ ist menschenleer.
In den Wohnvierteln toben Kinder auf der Straße, lachen, rennen und versprühen pure Lebensfreude.
Es wird immer stiller, je länger ich durch die Gassen streife.
Aus einem Restaurant in einer der Medresen tönt Musik. Ein mir unbekanntes Instrument, orientalische Klänge. Ich setze mich auf die Stufen der gegenüberliegenden Medrese und genieße die Atmosphäre.
Und dann ist er da, dieser magische Moment, in dem sich die Zeit auflöst. In dem alles so ist wie es vor hunderten von Jahren schon hätte sein können, und ich bin sicher: gleich schwebt Scheherezade um die Ecke und erzählt eine Geschichte.

Am nächsten Morgen ist der Zauber vorbei. Reisegruppen formieren sich zur Eroberung der Stadt, die Pelzhändler haben ihre Stände bestückt und überbieten sich in ihren Angeboten.

Trotz der schon am Morgen hohen Temperaturen probieren wir die Pelzmützen auf und haben viel Spaß dabei.
Nicht alle Medresen sind heute Museen. Eine beherbergt ein Hotel mit ganz besonderem Zimmern. Sie sind in den original-Studentenbuden untergebracht. Immer 2 Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen bewohnten einen Raum, der gerade Platz für 2 Betten und einen Tisch zum Lernen bot.
Was für den Hotelgast bedeutet: wenig Platz, kein Wasser, keine Toilette im Luxusappartement. Dafür sind die Gemeinschaftsräume und der Innenhof grandios ausgestattet.

In den meisten Medresen befinden sich heute Handwerksbetriebe, die ihre Produkte direkt an die Touristen verkaufen. Was durchaus spannend und der Besichtigung wert sein kann. Ewig versuche ich die kunstvoll aus einem Stück Walnussholz geschnitzten Buchständer aufzustellen. 6 verschiedene Varianten führt der Verkäufer vor.

Ich schaffe nicht eine einzige und nehme vom Erwerb Abstand. Dem Verkäufer scheint es egal zu sein, er hat Spaß an meinen Fehlversuchen. In einer anderen Medresse werden Holztüren geschnitzt. Die Nachfrage soll groß und die Warteliste lang sein.
Und dann gibt es noch riesige geschnitzte Säulen, deren Nutzen mir erst klar wird, als ich die Juma-Moschee betrete.
Ein ganzer Wald dieser kunstvoll verzierten Holzsäulen trägt das Dach, es ist dunkel und vergleichsweise kühl. Die Säulen stammen aus verschiedenen Jahrhunderten, einzelne Exemplare werden immer wieder ersetzt um die Tragfähigkeit zu erhalten.

Der Palast Tasch Hauli hingegen ist sonnengeflutet und überwältigt mit seiner reichen Ausstattung an Dekorfliesen, die in schönstem Blau mit dem wolkenlosen Himmel um die Wette leuchten.

Wir staunen von einem Innenhof zum nächsten und sind beeindruckt vom Können der Baumeister, die durch ausgeklügelte Architektur schlau und einfach das Raumklima zu regulieren wussten.
Wir lauschen den spannenden Geschichten vom Leben in einer Herrscherfamilie oder den Gepflogenheiten im Harem. Gruseln uns ob der Problemlösungsmethoden, die nicht selten tödlich endeten.
Und sind dabei ganz froh Chiwa in der Jetztzeit zu besuchen. Bei einer Tasse Tee beobachten wir das bunte Treiben in den Gassen, sinnen noch ein Weilchen über all die Geschichten nach und verabschieden uns dann von Chiwa mit einem Blick über die Dächer der Stadt.

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